L’intervista di Matthias Rüb
Im F.A.Z.-Interview versucht die Vorsitzende der Brüder Italiens, Giorgia Meloni, Sorgen vor einer rechtspopulistischen Regierung in Italien zu zerstreuen. Ihre Partei sei weder postfaschistisch noch antideutsch und keine Gefahr für die EU.
Frau Abgeordnete Meloni, Ihre Partei „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) wird im Ausland oft als „postfaschistisch“ bezeichnet. Mir scheint, Ihnen missfällt das. «Sie haben recht, das missfällt mir. Denn es missachtet die historische Entwicklung der italienischen Rechten, die den Faschismus schon vor Jahrzehnten der Geschichte übergeben und die Abschaffung der Demokratie, die schändlichen antijüdischen Gesetze, die Tragödie des Weltkriegs unmissverständlich verurteilt hat. Die Partei der italienischen Rechten, die damals „Alleanza Nazionale“ (Nationale Allianz) hieß, war (unter Parteichef Gianfranco Fini, Anm. der Redaktion) an mehreren Regierungen beteiligt. Wir haben dann eine geeinte Mitte-rechts-Partei gegründet, „Il Popolo della Libertà“ (Das Volk der Freiheit), die zur christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) gehörte. Ich war für diese Partei Ministerin (für Jugend und Sport im vierten Kabinett Silvio Berlusconis von 2008 bis 2011, Anm. der Redaktion), gemeinsam mit anderen wichtigen Mitgliedern meiner heutigen Partei Brüder Italiens, von denen einige nicht aus der Tradition der politischen Rechten stammen. Wir waren nie eine Bedrohung für die Demokratie, und wir werden dazu auch jetzt nicht werden. Wohl aber stellen wir eine Bedrohung dar für das Machtsystem der italienischen Linken, die seit Jahren an der Regierung ist, ohne zuvor die Wahlen gewonnen zu haben. Und übrigens nennt sie niemand jemals „postkommunistisch“, obwohl sie historisch aus der stärksten prosowjetischen Partei im Westen hervorgegangen sind (der Kommunistischen Partei Italiens, Anm. der Redaktion)».
Wie würden Sie die Ideologie Ihrer Partei und Ihre politischen Überzeugungen beschreiben? «Die Brüder Italiens sind eine Partei der italienischen Konservativen. Wir glauben an die Freiheit der Person, an die zentrale Bedeutung der Familie. Wir glauben an die italienische, europäische und westliche kulturelle Identität, an Privatinitiative und an soziale Solidarität. Ich bin (seit September 2020, Anm. der Redaktion) auch Vorsitzende der Partei Europäische Konservative und Reformer (EKR), die zwei Ministerpräsidenten stellt (in Polen und in Tschechien) und stolz ist auf die enge Zusammenarbeit mit den Torys in Großbritannien, den Republikanern in den USA und dem Likud in Israel. Unsere Fraktion hat bei der Wahl der Präsidentin des Europaparlaments für die EVP-Kandidatin Roberta Metsola gestimmt, und wir stellen einen Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments (den Letten Roberts Zīle, Anm. der Redaktion). Wer uns als Barbaren bezeichnet, kennt uns entweder nicht oder tut das – fast immer – aus böser Absicht».
Im Mitte-rechts-Bündnis haben sich zuletzt Matteo Salvini und Silvio Berlusconi gegen Waffenlieferungen an Kiew ausgesprochen. Wie ist die Position der Brüder Italiens? Sollen die Sanktionen gegen Moskau verschärft oder aufgehoben werden? «Schauen wir auf die Fakten: Vom 24. Februar bis heute haben die Lega (von Matteo Salvini, Anm. der Redaktion) und die Forza Italia (von Silvio Berlusconi, Anm. der Redaktion) immer für Sanktionen gegen Russland und für Waffenlieferungen an die Ukraine gestimmt. Dasselbe gilt für das Votum zum Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO. Aus beiden politischen Lagern hat jeweils nur eine politische Kraft mit Nein gestimmt, und das waren die radikalen Linken – mit welchen der sozialdemokratische „Partito Democratico“ (unter Führung von Enrico Letta, Anm. der Redaktion) ein Wahlbündnis geschlossen hat. Und wem das noch nicht genügt: Die Brüder Italiens waren, sind und bleiben der Garant für diese Position im Ukrainekonflikt. Im Einvernehmen mit unseren Verbündeten werden wir tun, was getan werden muss».
Wird eine mögliche Mitte-rechts-Regierung unter Führung der Brüder Italiens die EU-Bedingungen für die Auszahlung der nächsten Tranchen des „EU Recovery Fund“ erfüllen? «Beginnen wir mit zwei Zahlen: Von den 15 Milliarden, die bis Ende 2021 an Italien ausgezahlt wurden, wurden nur 5 Milliarden ausgegeben. Unser Hauptproblem ist nicht der Einzug der „gefährlichen Rechten“ in die Regierung, sondern die Modernisierung unserer öffentlichen Verwaltung, damit diese in die Lage versetzt wird, diese Ressourcen rasch und effektiv auszugeben. Im Übrigen sind wir pragmatisch: Die Regeln für den „Recovery Fund“ sehen vor, dass in außergewöhnlichen Umständen die Prioritäten des Plans geändert werden können. Wir werden mit der Kommission in Brüssel in Verhandlungen eintreten mit dem einzigen Ziel, die Ressourcen dort einzusetzen, wo sie für die wirtschaftliche Erholung am nützlichsten sind».
Die Brüder Italiens bezeichnen sich selbst als proeuropäische Partei, stehen der EU in ihrer jetzigen Form aber kritisch gegenüber. Wie soll das Europa der Zukunft gestaltet werden? «Zuerst die Pandemie und jetzt der Krieg haben uns gezeigt, dass die EU nicht vorbereitet war. Über zu viele Jahre hat Brüssel seine Kompetenzen auf viele Aspekte unseres täglichen Lebens ausgeweitet und dabei versäumt, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik zu entwickeln, unsere Energieautonomie zu sichern, die Wertschöpfungsketten zu komprimieren. Nun, ich möchte ein Europa, das weniger tut und das wenigere besser tut: mit weniger Zentralismus und mehr Subsidiarität, mit weniger Bürokratie und mehr Politik. Lassen Sie mich eines hinzufügen: Ich lese oft, ich sei antideutsch, antifranzösisch oder was auch immer. Nichts davon stimmt. Ich bin Italienerin und Europäerin. Mir ist bewusst, dass unsere Wirtschaft stark mit der europäischen und insbesondere mit der deutschen verflochten ist. Ich möchte lediglich Italien wieder die Rolle zuweisen, die es verdient, und unsere nationalen Interessen innerhalb der EU-Institutionen verteidigen. So, wie es die Deutschen und Franzosen sehr gut vormachen, indem sie gemäß Vertrag von Aachen oft zusammenarbeiten. Ich stelle mir vor, dass das bei Ihnen als normal gilt. Bei uns dagegen werden diejenigen, die das bekräftigen, als gefährliche Umstürzler betrachtet».
Welche Rolle spielen das transatlantische Bündnis und die NATO für die Brüder Italiens? «Es ist unser natürlicher und strategischer Standort. Aber angesichts immer stärkerer externer Bedrohungen müssen wir besser werden. Wir müssen unsere Verpflichtungen zum gemeinsamen Haushalt erfüllen. Wir müssen einen europäischen Pfeiler aufbauen, auf Augenhöhe mit den USA. Wir dürfen den erweiterten Mittelmeerraum nicht aufgeben – ein Gebiet, in dem Italien eine viel zentralere Rolle spielen kann und muss».
Bereits 2017 erwog die EU, „Hotspots“ für Migranten in den Maghreb-Staaten einzurichten, um den Migrationsstrom über das Mittelmeer einzudämmen, auch eine Seeblockade wurde diskutiert. Welche Lösung schlagen Sie vor? «Wir fordern eine europäische Marinemission im Einvernehmen mit den libyschen Behörden und die Einrichtung von „Hotspots“ auf afrikanischem Territorium. Dort sollen Flüchtlinge von Wirtschaftsmigranten unterschieden, Erstere überführt und Letztere repatriiert werden. Damit würde einerseits Menschenhändlern ein harter Schlag versetzt. Andererseits könnte die Sekundärmigration (von Italien in nördlicher gelegene EU-Staaten, Anm. der Redaktion) entschieden bekämpft werden, wie es Deutschland verständlicherweise seit Langem fordert. Denn Sie wissen nur zu gut: Wenn all jene, die von Nordafrika aus – oft mit dem Ziel Nordeuropa – Italien erreichen, von dort weder repatriiert werden noch ihre Reise nach Norden fortsetzen können, dann wird Italien zum Flüchtlingslager Europas. Welche andere Nation würde dies akzeptieren? Ich glaube, auf dieser Grundlage und mit einer Sprache der Wahrheit können Italien und Deutschland eine gemeinsame Ausgangsposition finden».